Stellungnahme der AG Migration Pankow und Neukölln zum geplanten Integrations- und Partizipationsgesetz des Senats

Veröffentlicht am 23.08.2010 in Berlin

Voraussichtlich Ende November möchte der Berliner Senat als erstes Bundesland ein eigenes Integrationsgesetz verabschieden. Die öffentliche Diskussion um ein solche Gesetz ist wieder einmal zu kurz geraten und auch in der Basis der Berliner Regierundsparteien blieb kaum Zeit sich mit diesem Gesetz auseinander zu setzen oder gar über dessen Inhalt zu diskutieren. Der nun vorliegende Senatsentwurf vermag nur sehr wenige Genossinnen und Genossen zu begeistern. Die AG Migration Pankow und die AG Migration Neukölln haben eine gemeinsame Stellungnahme zu dem Gesetzesentwurf verfasst, welche folgend zu finden ist......

Es gibt Gesetze, die auf erbitterte Widerstände stoßen, wenn sie das Potential haben, Verhältnisse grundlegend in Frage zu stellen. In diese Kategorie könnte man auch das geplante Integrations- und Partizipationsgesetz stecken. Nicht nur, dass der Name an sich schon viel verspricht, sondern auch die Tatsache, dass sich die Menschen nach Veränderungen sehnen und im Fall der Zielgruppe - Menschen mit Migrationshintegrund - endlich eine gleichberechtigte Teilhabemöglichkeit an der Gesellschaft bekommen wollen, befördern das Konfliktpotential. Denn Teilen fällt - wie schon im Kindesalter - dem einen oder anderen Zeitgenossen sehr schwer. Und bei diesem Gesetzesvorhaben geht es um Verteilung. Die Verteilung von Perspektiven, Ressourcen und Macht... ...könnte man meinen, wenn man nichts weiter als die Überschrift des Gesetzestextes liest. Führt man sich aber das Eckpunktepapier des Senats genauer zu Gemüte, dann wird deutlich, dass der Entwurf noch einen intensiven Diskussionsprozess überstehen muss. An vielen Stellen ist ersichtlich, dass die Zerrissenheit zwischen dem Versuch den hohen Erwartungen gerecht zu werden und der Angst vor der vermeintlich negativen öffentlichen Meinung ziemlich große Spuren im Gesetzesentwurf hinterlassen hat. Diese Kluft wird besonders deutlich, wenn man den Senatsentwurf mit den ursprünglichen Forderungen des Landesbeirats für Integrations- und Migrationsfragen vergleicht. Selbst die Gesetzesprosa scheint hier Ängste vor Widerstand ausgelöst zu haben. Die Forderung des Beirats, eine Verpflichtung des Landes Berlin zu einer aktiven Integrationspolitik festzuschreiben, wurde zueiner sanften Willensbekundung zur Integrationspolitik und zur gesellschaftlichen Teilhabe. Vielleicht ist auch aufgrund dieser Befürchtungen zu erklären, weshalb man sich genötigt fühlte in dem Gesetzesentwurf festzuhalten, dass jede Bevorzugung auszuschließen sei. Neben dieser sehr defensiven Ausrichtung des Gesetzesvorhabens verwundert unter anderem die vermeintliche Notwendigkeit zu einer “Neudefinition” des Migrationshintergrundes. Hierbei wird kurzerhand die dritte Generation ihres Migrationshintergrundes entledigt. Sehr begrüßenswert, wenn Menschen nicht mehr nach ihrer Herkunft in eine Schublade gesteckt werden sollen, aber hier geht der Versuch deutlich am Thema vorbei. Es geht um die Teilhabe an der Gesellschaft und die Gewährung gleicher Chancen. Gerade die dritte Generation hat viele Probleme, die es durch eine aktive Politik der Partizipation auszugleichen gilt. Aber genau dieser Teil der Bevölkerung mit Migrationshintergrund wird durch den aktuellen Gesetzentwurf aus der Definition der Zielgruppe ausgeschlossen. Exemplarisch für dieses Dilemma sind die Berliner “Problemschulen” an denen heute die dritte Generation vertreten ist! Der Vorlage fehlt es noch an fassbaren Veränderungen. Sicher ist der symbolische Wert von großer Bedeutung. Aber die Symbolik muss auch durch konkrete Punkte unterstrichen und verstärkt werden. So bei der finanziellen Ausstattung der Integrationspolitik. Berlin besitzt zwei Bezirke, die sich weigern einen bezirklichen Integrationsbeauftragten aufzustellen. Nach dem Entwurf zum Integrations- und Partizipationsgesetz müsste sich dies ändern. Die wichtige Festlegung einer ausreichenden finanziellen Ausstattung der bezirklichen Integrationsbeauftragten wird im Gesetzesentwurf aber nicht geregelt. So besteht die Gefahr, dass die Bezirke Reinickendorf und Steglitz-Zehlendorf ihre dann unumgänglichen Integrationsbeauftragten mit völlig unzureichenden Mitteln im Regen stehen lassen. Ein weiterer wunder Punkt in dem Gesetzentwurf ist die Frage nach einer Quote für Neueinstellungen im öffentlichen Dienst. Das neue Partizipations- und Integrationsgesetz formuliert hier nur die Zielvorgabe, Menschen mit Migrationshintergrund gemäß ihrem Anteil an der Bevölkerung einzustellen (der nach der fragwürdigen Neudefinition des Migrationshintergundes dann niedriger ist, als im letzten Mikrozensus angegeben). Unklar bleibt, was geschehen wird, wenn diese Zielvorgabe nicht erreicht wird. Nun ist die Einführung einer verbindlichen und einklagbaren Quotenregelung ohne Zweifel eine schwierige und sensible Frage, die auf einer breiten gesellschaftlichen Basis diskutiert werden muss, bevor sie in gesetzliche Regelungen Eingang findet. Doch eine prinzipielle Ablehnung der Quote, ohne das Für und Wider in einem demokratischen Prozess abzuwägen, kann nicht als zukunftsweisende Innovation für eine moderne Integrationspolitik gesehen werden. Nicht, dass wir falsch verstanden werden: Keine Frage, dieses Gesetz ist wichtig. Nicht umsonst gab es einen Wettstreit zwischen Berlin und NRW, welches Bundesland als erstes ein Integrationsgesetz verabschieden wird. Aber wir müssen die Erwartungen an ein solches Gesetz auch erfüllen, Teilhabe in allen Lebensbereichen anzustreben. Dies ist auch deshalb notwendig, weil der Widerstand in der Presse und in den konservativen und reaktionären Teilen der Öffentlichkeit gegen das Gesetz enorm sein wird und es zum Teil jetzt schon ist. Die SPD muss sich – auch angesichts der nahenden Wahlen im Land Berlin – die Frage stellen, ob sie diesen Kampf aufnehmen kann und will. Ein starkes Gesetz mit verbindlichen Regelungen hätte die Kraft sozialdemokratische Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfer zu begeistern und zu binden. Besonders weil es Antworten auf aktuelle integrationspolitische Probleme vorweisen könnte. Ein schwaches Gesetz, das lediglich den Wohlfühlfaktor zu steigern vermag, begeistert weder die Partei noch die Zielgruppe des Gesetzes und macht uns den Wahlkampf an allen Fronten unnötig schwer.