Neues SPD Eckpunktepapier für eine kohärente Migrationspolitik

Veröffentlicht am 13.05.2009 in Bundes-SPD

Am Montag den 11.05.2009 stellte die SPD Bundestagsfraktion das neue Eckpunktepapier für eine kohärente Migrationspolitik in Deutschland und in Europa vor. Das Papier wurde von einer fachübergreifenden Projektarbeitsgruppe erstellt, die sich aus SPD Mitgliedern des Bundestages, des Europaparlaments und externen wissenschaftlichen Beratern zusammensetzte. Neben der Steuerung künftiger Migrationsströme, setzt sich das Papier mit der europäischen Arbeitnehmerfreizügigkeit auseinander. Folgend sollen die wichtigsten Punkte des Papiers dargestellt werden.

Das Eckpunktepapier der SPD umfasst die folgenden Grundsätze: Die Gleichbehandlung aller EU-Bürgerinnen und -Bürger - auch der Neubürgerinnen und Neubürger - muss selbstverständlich werden. Es darf zukünftig in der EU keine Bürgerinnen und Bürger “zweiter Klasse” mehr geben. Bei künftigen Erweiterungsrunden sind die Übergangsfristen für die Arbeitnehmerfreizügigkeit zu verkürzen und, wenn es die Arbeitsmarktlage erlaubt, ist die Arbeitnehmerfreizügigkeit von Beginn an zu gewähren. Für Bulgaren und Rumänen soll sie in Deutschland ab dem Jahr 2012 gelten. Als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten fordern wir hohe arbeits- und sozialrechtliche Standards für die Migrantinnen und Migranten. Auf Dauer in der EU lebende Zuwanderer müssen mit EU-Bürgerinnen und Bürgern gleich gestellt werden. Über Integrationsmaßnahmen und soziale Mindeststandards muss Ausbeutung verhindert werden. Die Entsendung von Arbeitskräften und die Dienstleistungsfreiheit innerhalb der EU dürfen nicht zu einem Abbau von Arbeitnehmerrechten und zu Lohndumping führen. Tarifvertragliche Regelungen in den Mitgliedsländern dürfen nicht unterlaufen werden. In einer Europäischen Gemeinschaft ohne Binnengrenzen ist eine gemeinsame Zuwanderungspolitik zwingend. Deshalb muss der strategische Plan der EU-Kommission “Legale Zuwanderung” weiter vorangetrieben werden. Ohne Zweifel wird die EU als Zuwanderungsraum attraktiver, wenn sie einheitliche Standards und die Möglichkeit von Weiterwanderung anbietet. Zudem kann die illegale Migration nach Europa weiter eingedämmt werden, wenn Möglichkeiten zur legalen Zuwanderung verbessert werden. Als Zielgebiete von Migration müssen sich Deutschland und Europa künftig im globalen Vergleich attraktiver präsentieren. Voraussetzung für das Schließen der Arbeitsmarktlücke bei Fachkräften und Hochqualifizierten ist ein positives Klima für Zuwanderung. Wir unterstützen eine europäische “Blue Card” für hochqualifizierte Drittstaatsangehörige, welche für die Zuwanderer einen Gewinn darstellt und die EU für die Anwerbung von Hochqualifizierten gegenüber anderen Arbeitsmärkten dieser Welt besser aufstellt. Daher sollte die “Blue Card” auch den Anspruch auf sozio-ökonomische Rechte begründen und die Miteinreise von Familienangehörigen ermöglichen. Eine “Blue Card” muss weiterhin nationale Regelungen für Hochqualifizierte ermöglichen. Sie darf mittel- und osteuropäische EU-Bürgerinnen und -Bürger nicht benachteiligen. Schließlich sollten bei der Definition von Hochqualifizierten nicht nur formale Bildungsabschlüsse, sondern auch vergleichbare berufliche Erfahrungen berücksichtigt werden. Wir fordern die Bundesregierung auf, die “Blue-Card”-Initiative in der EU in diesem Sinne zu unterstützen. Wir brauchen bei der Steuerung der Arbeitsmigration nach Deutschland den Wechsel hin zu einem modernen und kohärenten System. Daher plädieren wir für die Einführung eines Punktesystems für die Anwerbung von Hochqualifizierten und eine Engpasszuwanderung für andere Fachkräfte. Auch für gering Qualifizierte wird weiterhin ein Bedarf bestehen. Dabei ist eine breite gesellschaftliche Initiative für dieses zukunftsweisende und in Deutschland neuartige System der Zuwanderungssteuerung nötig. Wir plädieren dafür, beim Punktesystem auf die “Vorrangprüfung” zu verzichten. Beim “Engpassverfahren” soll keine individuelle sondern eine globale Vorrangprüfung unter Berücksichtigung der Arbeitsmarktentwicklung einzelner Wirtschaftsektoren stattfinden. Eine rechtliche Rahmenregelung auf EU-Ebene zur Saisonarbeit sollte zu mehr Rechtssicherheit und zu verbesserten Arbeits- und Lohnbedingungen für die Betroffenen führen. Die nationalstaatlichen Besonderheiten der Beschäftigung von Saisonarbeitnehmern müssen allerdings beachtet werden. Zur Attraktivität Europas würde ein EU-weites einheitliches Verfahren zur kombinierten Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis (sogenanntes “One-stop Government”) beitragen. Das mit dem Zuwanderungsgesetz etablierte deutsche System kann als Modell dienen. Antragstellung für die Migrantinnen und Migranten, aber auch Genehmigungs- und Kontrollverfahren für die Behörden würden damit vereinfacht. Für gemeinsame europäische Migrationsmaßnahmen bedarf es weiterer wissenschaftlicher Untersuchungen und verlässlicher Daten und Fakten. Die von der Europäischen Kommission in ihrer Mitteilung zur “gemeinsamen Einwanderungspolitik für Europa” angestoßene Initiative zur Festschreibung von gemeinsamen Zielen und Indikatoren in “nationalen Einwanderungsprofilen” unterstützen wir. Im Asylbereich plädieren wir für eine weitere Vereinheitlichung der rechtlichen Rahmenbedingungen und Verfahren. Ziele sind die Einhaltung von humanitären Mindeststandards und eine gleichmäßige und solidarische Lastenverteilung zwischen den EU-Staaten. Letzteres würde eine Ergänzung des bereits bestehenden Zuständigkeitssystems um Lastenteilungskonzepte verlangen, wie sie die Kommission 2007 im Grünbuch Asyl angeregt hat. Gleichzeitig müssen mehrere Instrumente der ersten Stufe zur Verwirklichung einer gemeinsamen europäischen Asylpolitik überarbeitet werden. Die Kommission hat auch hier mehrere bedenkenswerte Vorschläge gemacht. Dazu zählen unter anderem die rechtliche Gleichstellung von Flüchtlingen und subsidiär Schutzberechtigten und eine Revision mehrerer scharf kritisierter Bestandteile der Asylverfahrensrichtlinie. Hierzu gehören die Regelungen über sogenannte sichere Herkunfts- und Drittstaaten, von denen angenommen wird, dass es dort keine Verfolgung gebe. Es müssen konkrete Maßnahmen der Migrationspolitik festgelegt werden, die der Ko-Entwicklung dienen - also auf Kooperation mit den Herkunftsländern und ihre Weiterentwicklung abzielen. Die aktuellen EU-Vorschläge zur “zirkulären Migration” beziehungsweise den “Mobilitätspartnerschaften” könnten - eine sinnvolle Ausgestaltung vorausgesetzt - einen Rahmen dafür bieten. Hierbei handelt es sich um konkrete Überlegungen zur temporären Arbeitsmigration in die EU sowie um Partnerschaften mit den Herkunftsländern, die auf Entwicklung und Bekämpfung illegaler Migration ausgerichtet sind. “Zirkuläre Migration” könnte zum Brain Gain beziehungsweise Brain Circulation für die Herkunftsländer beitragen, aber sie birgt auch die Gefahr, das “Prinzip Gastarbeiter” unter neuem Namen wieder einzuführen. Vor Maßnahmen zur Bekämpfung von irregulären Migrantinnen und Migranten in den Einreiseländern müssen Konzepte zur Vermeidung von irregulärer Migration stehen. Bei der Bekämpfung von irregulärer Migration müssen die asyl- und menschenrechtlichen Standards geachtet werden. Die “Rückführungsrichtlinie” hat das Ziel einer einheitlichen Behandlung des Problems auf EU-Ebene und formuliert Mindeststandards. Wir plädieren jedoch dafür, dass in Zukunft humanitäre und soziale Standards bei Rückführungen stärker beachtet werden. Wir sind überzeugt, dass Deutschland und die EU auch in Zukunft mit einem gewissen Maß an irregulärer Migration konfrontiert sein werden. Daher plädieren wir für die Beibehaltung der Option “Legalisierung” auf nationaler Ebene. Auch irreguläre Migrantinnen und Migranten sind nicht vollkommen schutzlos. Die Menschenrechte gelten für alle. Deshalb sollte ihnen auch in gewissem Umfang der Zugang zu sozialen Dienstleistungen und zum Gesundheitssystem gewährt werden. Die “Übermittlungspflichten” von öffentlichen Stellen über den illegalen Aufenthaltsstatus sollten eingeschränkt werden. Die Schulpflicht sollte auch für die Kinder von Menschen ohne Aufenthaltsstatus gelten. Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, die Migrantinnen und Migranten irregulär beschäftigen, sind verstärkt zu verfolgen und zu bestrafen. Mehr Angebote und Anstrengungen für Integration müssen Bestandteil der Zuwanderungspolitik sein. Ziel ist, die Chancengleichheit von Zugewanderten zu verbessern. Im Endeffekt wird dadurch auch die Akzeptanz und Aufnahmebereitschaft der einheimischen Bevölkerung für neue Zuwanderung erhöht. Sprach- und interkulturelle Kompetenz erhöhen die Qualifikation der Zugewanderten. Nur wer die Sprache des Aufnahmelandes spricht, kann gleichberechtigt am gesellschaftlichen Leben teilhaben. 2005 wurde mit dem Zuwanderungsgesetz erstmals ein gesetzlicher Integrationsauftrag des Bundes im Aufenthaltsgesetz festgeschrieben. Dessen Kernelement sind die Integrationskurse. Hier erwerben Migrantinnen und Migranten Deutschkenntnisse und erhalten grundlegende Informationen über die deutsche Geschichte, Kultur und Demokratie. Daneben ist es aber auch wichtig, die jeweilige Zweitsprache in Wort und Schrift zu fördern. Auch für Migrantinnen und Migranten mit befristetem Aufenthaltsrecht müssen Integrationsangebote zur Verfügung gestellt werden. Integration bedarf der Anerkennung von Kompetenzen und Leistungen der Migrantinnen und Migranten. Erforderlich ist, dass die im Herkunftsstaat erworbenen beruflichen Abschlüsse anerkannt werden. Über die Anerkennung von Hochschulabschlüssen hinaus besteht ein Bedarf zur Anerkennung von Berufsabschlüssen und Berufserfahrungen. Auf europäischer und nationaler Ebene müssen die Rahmenbedingungen für die politische Partizipation der Migrantinnen und Migranten verbessert werden. Die Beteiligung von auf Dauer bei uns lebenden Drittstaatsangehörigen an demokratischen Entscheidungsprozessen ist insbesondere durch die Einführung des aktiven und passiven Wahlrechts auf der kommunalen Ebene in allen EU-Ländern zu ermöglichen. Zu den Grundwerten der Europäischen Union gehört das Verbot der Diskriminierung aufgrund von Geschlecht, Alter, Religion, Behinderung, Weltanschauung, sexueller Orientierung und ethnischer Zugehörigkeit. Wir begrüßen die Initiative der Europäischen Kommission, den Grundsatz der Gleichbehandlung für alle diese Merkmale auf alle Lebensbereiche auszudehnen. (G.Kijora)